BRÜCKEN SCHLAGEN - NETZE KNÜPFEN

Eine Zukunftskonferenz als Einstieg in das Projekt "BRIDGE"(1)

Dietmar Osinger

Die Start-up-Veranstaltung(2) für das Projekt "BRIDGE-Lifeline Danube" zu gestalten, war eine große Herausforderung. Es galt, Menschen mit höchst unterschiedlichen Interessenslagen, Arbeitsstilen, Unternehmenskulturen, nationalen Eigenheiten und Sprachen für eine gemeinsame Vision zu gewinnen und ein tragfähiges Beziehungs- und Arbeitsnetzwerk aufzubauen. Es galt auch, Energie freizusetzen, um gemeinsame Projekte zu planen und ein längerfristig wirksames kreatives Feld zu schaffen, in dem eine Umsetzung der Vorhaben möglich sein würde.
Abb: Beginn der Arbeitsgruppe
Welche Veranstaltungsform ist dafür geeignet?

Um diese Frage beantworten zu können, wurde in den ersten Gesprächen zwischen den Moderator/innen(3) und der Projektleitung die Funktion dieser Start-up-Veranstaltung innerhalb des Gesamtprojekts geklärt, sodann wurden ihre Zielsetzungen und Erfolgskriterien entwickelt. Als zusätzliche Entscheidungsgrundlage dienten die folgenden "Erfolgsvoraussetzungen für Zukunftskonferenzen"(4) von Matthias zur Bonsen:

  • Es muss ein echter Veränderungsbedarf für die Menschen bestehen, die man zusammenholen möchte (z.B. eine gemeinsame Aufgabe lösen, Herausforderungen begegnen, Chancen nützen).
  • Die Verantwortlichen müssen die angestrebte Veränderung wollen.
  • Die Projektleitung muss für die Beiträge der Teilnehmer/innen offen sein.
  • Eine Zukunftskonferenz, in der man keine Maßnahmenplanung zulässt, wird scheitern.
  • Das Ergebnis der Zukunftskonferenz darf nicht schon im Voraus feststehen.
  • Der Auftraggeber ist bereit, das ganze System in einen Raum zu holen.
  • Für die beteiligten Institutionen/Gruppen/Personen sollte die Notwendigkeit der Kooperation bestehen.
  • Vorsicht, wenn Teilgruppen vorher an derselben Aufgabe gearbeitet haben, die auch im Mittelpunkt der Zukunftskonferenz steht!
  • Zukunftskonferenzen sollten nicht mit Aktivitäten belastet werden, die dem Geist der kooperativen Planung fremd sind.
  • Es müssen geeignete Räumlichkeiten und es muss genügend Zeit vorhanden sein.

Die Planungsgespräche ergaben folgendes Bild:

Das Projekt "BRIDGE-Lifeline Danube" eröffnet Vertreter/innen unterschiedlichster Organisationen die Chance, bestehende Kooperationen im Donauraum zu stärken sowie konkrete Projekte und neue (transnationale) Netzwerke zu entwickeln. Das Projekt basiert auf den Zielsetzungen und Leitbildern des Europäischen Raumentwicklungskonzeptes, das die Notwendigkeit einer nachhaltigen ökologischen Entwicklung forciert.

"BRIDGE-Lifeline Danube" ist von seinem Ansatz her nur durch Kooperationen unterschiedlichster Institutionen und Personen umsetzbar. Die Start-up-Konferenz soll eine dreitägige Dialog-, Planungs- und Mobilisierungsveranstaltung sein mit dem Ziel, gemeinsame Lernprozesse zu ermöglichen sowie die Synergien interdisziplinärer Ansätze und die Kraft dialogischer Auseinandersetzung zu nützen.

Es sollen 30 bis 40 Vertreter/innen aus acht Städten und vier verschiedenen Ländern, aus den Bereichen der Universität (Lehrende und Studierende), der Verwaltung (Stadt- und Universitätsverwaltung), aus dem Tourismus, der Landwirtschaft, aus Planungsabteilungen und aus dem Bereich der Kulturwissenschaften eingeladen werden. Entscheidungsträger/innen werden genauso vertreten sein wie Menschen, die im Rahmen ihres Studiums oder als Freiberufler an diesem Projekt mitarbeiten (wollen).

Der Fokus dieser Einstiegsveranstaltung liegt auf der Entwicklung konkreter Vorhaben zum Generalthema "Ökologisierung des Donauraums" und auf der Einbindung zusätzlicher Kooperationspartner in bereits bestehende Projekte. Im Rahmen einer Kennenlernphase zu Beginn der Start-up-Veranstaltung werden die aktuellen Projekte und die vielfältigen Arbeitsfelder der Teilnehmer/innen vorgestellt werden, um bereits laufende Einzelprojekte in einen größeren Zusammenhang zu stellen, durch neue Kooperationen Impulse zu setzen oder Ressourcen zu bündeln.

Abgesehen von den zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen gibt es keine Vorgaben. Die erforderlichen Ressourcen werden über diverse internationale Programme und Initiativen zur Verfügung gestellt (INTERREG IIC, CADSES, PHARE-CBC).

Der vorgesehene Tagungsort - das Kloster UND in Krems an der Donau - bietet genügend Platz und eine gute Infrastruktur, sodass alle Teilnehmer/innen drei Tage lang in einem Raum arbeiten können.

Am Ende dieses Klärungsprozesses fiel die Entscheidung, die Start-up-Veranstaltung für dieses Projekt als "Future Search Conference" - wie sie von Marvin R. Weisbord(5) in den USA entwickelt und von Matthias zur Bonsen(6) als "Zukunftskonferenz" im deutschsprachigen Raum eingeführt wurde - durchzuführen.

Was ist eine Zukunftskonferenz?

Eine Zukunftskonferenz verbindet Elemente von Robert Jungks legendären "Zukunftswerkstätten"(7) mit systemischen Beratungsansätzen und modernen Großgruppeninterventionen(8). Zukunftskonferenzen basieren auf einigen Grundprinzipien (siehe unten) und sind sehr klar strukturiert. Diese Ablaufstruktur baut systematisch ein gutes Dialogklima auf, fördert das emotionale Zusammenwachsen der Tagungsteilnehmer/innen und ermöglicht allen beteiligten "Interessensgruppen" ihre gemeinsame Situation besser zu verstehen und die Verantwortung für sie zu übernehmen. Das Ziel ist eine gemeinsam getragene Vision sowie die Erarbeitung von Maßnahmen zu deren Umsetzung.

  • Das ganze System in einen Raum bringen

Dies ist das zentrale Prinzip: Vertreter/innen möglichst aller Gruppierungen, die Einfluss auf die Entwicklung einer Organisation, eines Projekts, eines Unternehmens haben, kommen für drei Tage zusammen; denken, sprechen und planen gemeinsam. Durch die Zusammensetzung des Teilnehmer/innenkreises, der das ganze System repräsentiert, fließen alle Umfeldaspekte in die Analyse und Planung ein, können und müssen Rahmenbedingungen genau untersucht werden und besteht die Chance, vorgefasste Meinungen und selbsterfüllende Prophezeiungen zu verändern. Energieinvestitionen in Aktivitäten, die voraussichtlich zum Scheitern verurteilt wären, können von vornherein verhindert werden. Auch der Raum hat große Symbolkraft: Alles, was geschieht, geschieht immer im Beisein aller - in einem Raum. Es gibt kein Podium, keine Vorder- und keine Hinterbänke. Die Teilnehmer/innen sitzen - gleichberechtigt - an runden Tischen, je nach Aufgabenstellung in homogenen Gruppen oder möglichst gemischt. Jeder Beitrag ist wichtig, alles wird visualisiert. Es gibt Bewegungsfreiheit und ausreichend Material und Zeit für die Gestaltung kreativer Ideen.

  • Den Fokus auf die Zukunft richten (statt auf Probleme)

Die Beschreibung der bisherigen Situation, das Herausarbeiten von bisher funktionierenden Mechanismen und von Vorgangsweisen, die nicht effektiv waren, ermöglicht die Entwicklung von Visionen - vorerst noch ohne Einschränkung bezüglich Machbarkeit, Ressourcen etc.

  • In selbst steuernden Gruppen arbeiten, um Abhängigkeit und Verweigerung zu vermindern

Die Arbeitsstruktur überträgt die Verantwortung auf jede/n einzelne/n, schafft ein Arbeitsklima, in dem – ohne die Unterschiede zu verwischen - alle Beteiligten gleich wertvolle und wichtige Beiträge leisten. Die Zukunftskonferenz ist kein Top-down-Modell, sondern ein aktives Einbeziehen und Ernstnehmen aller Ebenen.

  • Gemeinsamkeiten finden (statt Konflikte bearbeiten) und Maßnahmen erst dann planen, wenn Konsens über die gewünschte Zukunft gefunden wurde.

Durch das Herausarbeiten gemeinsamer Zielvorstellungen, vorhandener Potentiale und die Vermeidung energiefressender "Einigungsdiskussionen" kann der Fokus auf Machbares und Erwünschtes gelegt werden. Das heißt, es geht nicht darum, sich mit unlösbaren Problemen "herumzuschlagen" und bereits bestehende Konflikte neuerlich zu diskutieren, sondern sich auf jene Aspekte zu konzentrieren, bei denen Konsens besteht und die im Interesse aller sind.

Der Ablauf einer Zukunftskonferenz

Zukunftskonferenzen benötigen in der Regel 16 bis 20 Arbeitsstunden, verteilt auf drei Tage. In sechs Phasen setzen sich die Teilnehmer/innen mit unterschiedlichen Aufgaben auseinander, die sie vorwiegend eigenständig in wechselnden - homogenen und heterogenen - Tischgruppen bearbeiten.

Phase 1: Die Vergangenheit vergegenwärtigen

Was waren Wegmarken oder Wendepunkte in den letzten 30 Jahren in Ihrem Leben, Ihrem Umfeld (Gesellschaft, Wirtschaft, Politik) in der Kooperation zwischen den Ländern, Städten und Universitäten im Donauraum? Die Teilnehmer/innen erstellen auf großen Papierbahnen Zeitleisten, auf denen sie die gemeinsamen bzw. unterschiedlichen Wahrnehmung ihrer Vergangenheit sichtbar machen. Gemeinsame und unterschiedliche Werte, verschiedene Vorerfahrungen und Erlebnisse werden öffentlich, können diskutiert werden und erzeugen ein Klima von gegenseitigem Interesse und Verständnis.
Abb: Erstellen von Zeitleisten
Phase 2: Das Umfeld prüfen - die gegenwärtigen Trends analysieren
In der zweiten Phase wird die Gegenwart untersucht. Trends, die aus der Sicht der Teilnehmer/innen Einfluss auf die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung haben, werden von den Moderator/innen in einem großen Mindmap gesammelt. Es geht hier nicht um das Verteidigen von Positionen, da niemand seine Sichtweise aufgeben muss, sondern jeder die Möglichkeit bekommt seine Sichtweise mit der anderer Gruppen/Personen in Beziehung zu setzen. Diese "Landkarte der (Außen)Kräfte" wird an den Tischen diskutiert. In einem zweiten Schritt markieren die Teilnehmer/innen jene Trends, die sie für besonders wichtig halten.
Abb: Vorbereiten der Mindmap
Phase 3: Die Gegenwart - Worauf sind wir stolz? Was bedauern wir?

Im Mittelpunkt steht die gegenwärtige Praxis. Die Teilnehmer/innen sollen sowohl die Stärken ihrer Arbeit genauer wahrnehmen und persönliche Erfolge sichtbar machen als auch persönliche Misserfolge veröffentlichen. Diese Phase lädt ein, etwas zu bedauern ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen und jene Qualitäten und Stärken herauszuarbeiten, die für die Gestaltung der Zukunft hilfreich sind.

Phase 4: Die Zukunft (er)finden und inszenieren

Eines der Kernstücke einer Zukunftskonferenz ist die Visionsphase. In möglichst heterogenen Gruppen werden Visionen einer gewünschten Zukunft entworfen und mit kreativen Mitteln dargestellt. Collagen, Modelle und Sketches, "erfundene" Zeitungsartikel, Reden und Diskussionsrunden lassen kraftvolle Zukunftsbilder entstehen. Die Auseinandersetzung mit den wesentlichen Hindernissen, die überwunden werden mussten, und den Chancen, die dabei wahrgenommen wurden, sowie die Rückschau von der imaginierten Zukunft auf die Gegenwart, ermöglichen einen Perspektivenwechsel und machen deutlich, dass die Zukunft nicht notwendigerweise ein Fortschreiben der gegenwärtigen Trends sein muss, sondern dass es Gestaltungsfreiräume gibt, die darauf warten, genützt zu werden.

Phase 5: Gemeinsamkeiten herausarbeiten ("common ground")

An den einzelnen Tischen werden jene Aspekte der Zukunftsvisionen herausgeschält, die für alle Teilnehmer/innen erstrebenswert sind. Es geht dabei nicht um Kompromisse, da Ideen und Ziele, die nicht von allen getragen werden können, als "ungelöste Differenzen" getrennt notiert und nicht weiter bearbeitet werden. In einer - meist sehr intensiven und anstrengenden – Plenarphase findet eine letzte Selektion der gefundenen Ziele statt. Da es nicht Aufgabe einer Zukunftskonferenz ist, mögliche Differenzen zu bearbeiten, wandern Ziele, die nicht konsensfähig sind, zu den "ungelösten Differenzen". Die gefundenen Gemeinsamkeiten liefern dann die Basis für konkrete Maßnahmen.

Phase 6: Maßnahmen planen

In dieser letzten Phase geht es um die Erarbeitung von Maßnahmen. Themenorientierte Projektgruppen planen eine Grobstruktur zur Umsetzung der gefundenen gemeinsamen Ziele. Die Ziele werden konkretisiert, eine Arbeitsstruktur wird entwickelt, ein Zeitplan erstellt und Verantwortlichkeiten werden vereinbart.

Nach 18 Stunden intensiver Arbeit wurden von den Teilnehmer/innen sieben Projektskizzen im Plenum präsentiert. Dass viele dieser ersten Ideen mittlerweile konkrete Gestalt angenommen haben, dass eine Reihe von Kooperationen quer über alle Grenzen entstanden ist, spricht für die Kraft der Vision, das Engagement der Beteiligten und die Methode "Zukunftskonferenz".

Abb: Präsentation der Ergebnisse

(1) Siehe auch: Rasch, Johanna (2000): Brücken schlagen - Netze knüpfen. Zukunftskonferenz als Einstieg in das Projekt "BRIDGE". In: umwelt & bildung, Heft 2, 36.

(2) Die Konferenz fand vom 4. 10. bis 6. 10. 1999 in Krems an der Donau statt.

(3) DI Barbara Buchegger, Dietmar Osinger, Mag. Johanna Rasch

(4) zur Bonsen, Matthias (2000): Erfolgsvoraussetzungen für Zukunftskonferenzen (leicht gekürzt und modifiziert)
Online verfügbar unter: http://www.all-in-one-spirit.de/res/future/res021.htm.

(5) Vgl. Weisbord, Marvin R./ Janoff, Sandra (1995) Future Search. An Action Guide to Finding Common Ground in Organizations and Communities. San Francisco.
Weisbord, Marvin R. (1996) Was ist eine Zukunftskonferenz? (Faltblatt von FutureSearchNet, übersetzt von Matthias zur Bonsen); Online verfügbar unter: http://www.k-heldmann.de/zukunftskonferenz.htm

(6) Vgl. zur Bonsen, Matthias (1998) Die Methode Zukunftskonferenz. In: Impulse, Zeitschrift des GABAL Netzwerk Lernen , Heft 2, 12f.; Online verfügbar unter: http://www.all-in-one-spirit.de/lit/future/fsc01.htm

(7) Vgl. Jungk, Robert/ Müllert, Norbert R. (1981) Zukunftswerkstätten. Hamburg.

(8) Siehe auch: Burow, Olaf-Axel (2000) Die Zukunftskonferenz: Wie man Zukunft (er-)finden und gestalten kann. In: ders. Ich bin gut - wir sind besser. Erfolgsmodelle kreativer Gruppen. Stuttgart, 167 - 185.
Online verfügbar unter: http://www.uni-kassel.de/fb1/burow/zukunftskonferenz/pdf_Dateien/Zk-1.pdf